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„Ein-Euro-Job“ – und dann?

(o-ton) Was geschieht mit „Ein-Euro-Jobbern“, wenn die Förderung endet? Sozialwissenschaftler des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz haben Teilnehmer der arbeitsmarktpolitischen Maßnahme knapp ein Jahr lang begleitet und herausgefunden: Nur selten finden sie im Anschluss einen regulären Arbeitsplatz. Trotzdem bewerten sie den in der Öffentlichkeit durchaus heftig umstrittenen „Ein-Euro-Job“ mehrheitlich positiv. Viel wichtiger ist für sie das Gefühl, wieder Teil der Gesellschaft zu sein. Das äußert sich auf vielfältige Art und Weise.

Auch für Langzeitarbeitslose hat Arbeit eine große Bedeutung, denn sie ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Während der geförderten Beschäftigung haben viele Teilnehmer zum ersten Mal seit langem wieder das Gefühl, gebraucht zu werden. Sie empfinden den „Ein-Euro-Job“ als „Rettungsanker, um dem tristen Alltag der Arbeitslosigkeit zu entkommen und soziale Teilhabe zu erleben.“ Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (ibus) der Hochschule Koblenz, die in Kooperation mit dem Bistum Trier, der Evangelischen Kirche im Rheinland sowie der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege Rheinland-Pfalz und Saar durchgeführt wurde.

Das Forscherteam um Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des ibus, ging der Frage nach, welche Auswirkungen „Ein-Euro-Jobs“ auf die teilnehmenden Menschen haben und was es für sie bedeutet, wenn ihre Förderung ausläuft und sie wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Das Besondere der Studie: Die Betroffenen kamen zu Wort. Denn „was als soziale Teilhabe oder Ausgrenzung wahrgenommen wird, können nur die Teilnehmenden selbst beantworten“, erläuterte Prof. Sell. Das Forscherteam interviewte zu diesem Zweck 45 „Ein-Euro-Jobber“ zu zwei Befragungszeitpunkten. Zunächst während ihrer Tätigkeit bei insgesamt sechs Beschäftigungsträgern in Rheinland-Pfalz und dem Saarland und ein zweites Mal sechs Monate später, in der Regel nach Ende der geförderten Beschäftigung.

Hintergrund des Forschungsprojektes sind die Instrumentenreform vom April 2012 und die Kürzungen der Gelder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen um fast 50 Prozent in den letzten fünf Jahren. Dadurch wurde die geförderte Beschäftigung massiv zurückgefahren. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Personen, die für eine Förderung in Frage kommen, weil ihre Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt sehr schlecht sind, aber annähernd konstant. Die Folge: Immer weniger potenzielle Kandidaten erhalten tatsächlich eine Förderung. (O-Ton berichtete).

Gemeinsam mit Dr. Stephan Ackermann, Bischof von Trier und Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirchen im Rheinland stellten Prof. Dr. Stefan Sell und sein Forscherteam die zentralen Ergebnisse am 22. Mai in Trier vor.

„Hauptsache arbeiten. Hauptsache, nicht zuhause sitzen“

„Für die Mehrzahl der Teilnehmer bedeutet der Ein-Euro-Job eine positive Veränderung, das zeigt die Studie ganz deutlich“, so Kathrin Schultheis, eine der Wissenschaftlerinnen. „Sie erleben einen strukturierten Alltag, treffen auf andere Menschen, knüpfen Kontakte, die bei der Arbeitssuche hilfreich sein können und schließen Freundschaften.“ Vielfach berichteten die Teilnehmer, sie wüssten nun, warum sie morgens aufstehen. Das vorhergehende, teilweise bis zu zehn Jahre andauernde Fehlen einer Berufstätigkeit habe bei einigen Teilnehmern zu Erkrankungen, vorrangig psychischen Leiden, geführt. In ihrem „Ein-Euro-Job“ schöpften sie neuen Lebensmut, so die Sozialwissenschaftlerin.

„Mit dem Ende der Förderung gehen die wenigsten Ein-Euro-Jobber in ein reguläres Arbeitsverhältnis über“, erklärt Tim Obermeier, Mitglied des Forscherteams. Was dann mit ihnen geschehe, lasse sich anhand von drei Typen erklären: „Sie werden zu Stabilisierten, Wartenden oder Resignierten“, so der Sozialwissenschaftler. Stabilisierten gelänge es, die positive Wirkung des „Ein-Euro-Jobs“ durch die Aufnahme einer sinnstiftenden Tätigkeit aufrecht zu erhalten. Bei Wartenden sei das nicht der Fall. Sie hofften deshalb noch auf eine Anschlussförderung. Resignierte hingegen seien perspektivlos in die Arbeitslosigkeit entlassen worden, denn eine Anschlussförderung blieb aus. Das Resultat: „Sie bezweifeln, jemals wieder eine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt zu bekommen und ziehen sich zurück.“

Ein Heer von Resignierten als Resultat der Instrumentenreform?

„Die Resignierten führen uns vor Augen, welche Folgen es hat, wenn die Politik die Probleme langzeitarbeitsloser Menschen ignoriert“, betonte Prof. Dr. Stefan Sell. Es gebe einen verfestigten Kern an Langzeitarbeitslosen, die auch auf lange Sicht keine Perspektive auf reguläre Arbeit haben. „Man spricht immer völlig pauschal von den Arbeitslosen, aber es gibt eine unglaubliche Vielfalt von Arbeitslosigkeit.“

Die Studie mache sehr deutlich, dass die Betroffenen ganz unterschiedliche, meist mehrfache Probleme hätten, die ihre Chancen am Arbeitsmarkt gen Null sinken lassen. So galten die Teilnehmer beispielsweise als zu alt, hatten eine chronische Erkrankung wie Rheuma, waren abhängig von Alkohol oder Drogen, konnten nicht lesen und schreiben, waren übergewichtig oder schlicht und einfach bereits so lange arbeitslos, dass ihnen kein Arbeitgeber mehr etwas zutraute. „Sie lässt die Politik aktuell zurück“, urteilte Sell.

Anhand der Wartenden zeige sich zudem, welche Probleme die kurze Laufzeit der Maßnahmen mit sich bringe, so Sell. Die Teilnehmer erlebten ein ständiges Auf und Ab und würden leicht zu Resignierten, wenn die Anschlussförderung ausbleibt oder sich keine anderen Zukunftsperspektiven eröffnen.

Maßnahmen nicht ausschließlich an der Integration in irgendeine Arbeit messen

Geförderte Beschäftigung sollte nicht ausschließlich an ihrem Erfolg bei der Integration in irgendeine Arbeit gemessen werden, schlussfolgern die Forscher des ibus. Die Effekte auf das Selbstwertgefühl der Teilnehmer und die soziale Teilhabe, die die Maßnahmen ermöglichen, sollten als eigenständiger Wert wahrgenommen werden.

Die beiden Vertreter der Kirchen, Stephan Ackermann und Manfred Rekowski, plädierten deshalb dafür, dass die Politik das Fördern von Menschen, die lange arbeitslos sind, neu entdeckt. Prof. Dr. Stefan Sell forderte, einen inklusiven sozialen Arbeitsmarkt jenseits durchgehender Befristungsregelungen zu schaffen. Langzeitarbeitslosen Menschen könne so eine echte Perspektive aufgezeigt werden, statt sie als Wartende verharren und im schlimmsten Fall zu Resignierten werden zu lassen. Ziel müsse es sein, soziale Teilhabe, wie sie die Stabilisierten erleben, auch für langzeitarbeitslose Menschen dauerhaft zu verwirklichen.

Sell machte allerdings vor dem Hintergrund der kritischen Fachdiskussion auch darauf aufmerksam, dass die als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichneten Arbeitsgelegenheiten nur eine Form der öffentlich geförderten Beschäftigung sein sollten – wichtig wäre es, auch wieder eine höherwertige öffentlich geförderte Beschäftigung anbieten zu können, also eine normale, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. Das wurde in vergangenen Jahren durch zahlreiche Änderungen des Förderrechts und massive Kürzungen bei den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln so gut wie unmöglich gemacht. „Wir dürfen uns nicht auf Dauer einrichten in einer öffentlich geförderten Beschäftigung, die nur noch aus Ein-Euro-Jobs besteht und die dann auch noch für nur wenige Langzeitarbeitslose, weil immer weniger Geld da ist“, so Prof. Sell.

Zum Weiterlesen:

Endstation Arbeitsgelegenheit!? Teilhabeperspektiven in „Ein-Euro-Jobs“ – Die Sicht der Betroffenen