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Sozialer Arbeitsmarkt: Expertenanhörung im Bundestag

(o-ton) Grüne, SPD und die Linke fordern die Einrichtung staatlich (teil)finanzierter sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose, die keine reelle Chance am Arbeitsmarkt mehr haben. Ihre Anträge und Gesetzentwürfe werden in der heutigen öffentlichen Sitzung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales mit Sachverständigen diskutiert. Die Debatte um den so genannten „Sozialen Arbeitsmarkt“ geht damit in die nächste Runde.

Allen positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt zum Trotz gibt es in Deutschland einen festen Kern an sehr „arbeitsmarktfernen“ Langzeitarbeitslosen. Bei ihnen kommen in der Regel mehrere Probleme zusammen. Sie haben beispielsweise gesundheitliche oder soziale Schwierigkeiten, Suchterfahrung, geringe soziale Kompetenz, keine oder nur eine geringe Ausbildung, ein höheres Alter oder einen Migrationshintergrund in Verbindung mit geringen Deutschkenntnissen. Am Arbeitsmarkt haben sie deshalb, völlig unabhängig von einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften, keine reale Chance mehr, denn sie entsprechen schlichtweg nicht den Mindestanforderungen der Arbeitgeber. Je länger ihre Arbeitslosigkeit andauert, desto stärker werden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Ihre Kompetenzen verkümmern und die Chancen, wieder in Arbeit zu kommen, sinken drastisch. Ein Sozialer Arbeitsmarkt mit staatlich (teil)subventionierten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen soll ihnen eine Perspektive auf Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe bieten und sie, wenn möglich, langfristig auf eine Beschäftigung am ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt vorbereiten.

Erste Initiativen pro Sozialem Arbeitsmarkt Ende 2012

Bereits Anfang November 2012 diskutierte der Bundestag über zwei Anträge der Grünen und der SPD. Ende November beschäftigte sich auch der Bundesrat mit dem Thema (O-Ton berichtete). Die Initiative der von SPD, den Grünen und der Linken regierten Länder, mit der sich der Bundesrat öffentlich pro Sozialem Arbeitsmarkt positionieren und die Bundesregierung zu entsprechendem Handeln auffordern sollte, verfehlte Ende letzten Jahres überraschend die erforderliche Mehrheit (O-Ton berichtete).

Mit der öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 15. April 2013, zu der eine Reihe von Sachverständigen aus Interessensvertretung, Wohlfahrtsverbänden sowie Wissenschaft und Forschung geladen ist, setzt sich die politische Debatte um den Sozialen Arbeitsmarkt nun fort. Diskutiert werden der Gesetzentwurf „zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes“ von Bündnis 90/Die Grünen sowie die Anträge „Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen“ der SPD und „Einstieg in gute öffentlich geförderte Beschäftigung beginnen“ der Linken.

Was wollen die Parteien?

Der Soziale Arbeitsmarkt richtet sich an Langzeitarbeitslose. Für sie sollen staatlich (teil)finanzierte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden, auf denen die geförderten Personen längerfristig beschäftigt werden. Die Teilnahme soll, im Gegensatz zu den bisherigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, freiwillig sein. Soweit sind sich die antragstellenden Parteien einig. Im Detail unterscheiden sich die Anträge und der Gesetzentwurf der Grünen, der SPD und der Linken allerdings. Hier die Einzelheiten:

Wer wird gefördert?

SPD und Grüne wollen den Sozialen Arbeitsmarkt für über 25-Jährige, die mehr als 24 Monate arbeitslos beziehungsweise arbeitssuchend sind. Zudem müssen die Personen mindestens zwei weitere so genannte „in der Person liegende Vermittlungshemmnisse“ haben. Für die SPD ist auch ein besonders schwerwiegendes weiteres Vermittlungshemmnis ausreichend. Das sind individuelle Probleme wie Krankheit, eine fehlende Ausbildung oder geringe Deutschkenntnisse, die den Zugang zum Arbeitsmarkt, unabhängig von der allgemeinen Arbeitsmarktlage, deutlich erschweren. Laut Einschätzung der Grünen trifft dies aktuell auf etwa 200.000 Personen zu. Die SPD, die sich auf Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beruft, geht von 100.000 bis 200.000 Personen aus.

Um zu vermeiden, dass ein Arbeitsplatz gefördert wird, der auch ohne Förderung besetzt worden wäre („Mitnahmeeffekt“), oder dass eine Bestenauslese stattfindet („Creaming-Effekt“), legen die Grünen besonders großen Wert auf ein sorgfältiges Auswahlverfahren der Teilnehmer. Auch die SPD sieht vor, die eingeschränkte Leistungsfähigkeit von mehreren Stellen (Jobcenter, berufspsychologischer Service oder unabhängige Dritte) feststellen zu lassen. Zudem soll eine regelmäßige Überprüfung der Leistungsfähigkeit sicherstellen, dass Personen nicht dauerhaft im „Sozialen Arbeitsmarkt“ verbleiben („Einsperreffekt“), wenn ihre Chancen am ersten Arbeitsmarkt steigen.

Die Linke hingegen will den „Sozialen Arbeitsmarkt“ für alle Langzeitarbeitslosen. Für sie ist es ein Mythos, dass Langzeiterwerbslose nicht in der Lage seien, in regulären Jobs zu arbeiten. Daher sei der „Soziale Arbeitsmarkt“ in erster Linie notwendig, weil es zu wenige Arbeitsplätze gebe. Eine spezielle Auswahl der Personen erübrigt sich für die Linke daher.

Wo und wie arbeiten die Geförderten?

SPD und Grüne wollen Arbeitsplätze fördern, die so nah wie möglich an reguläre Arbeitsverhältnisse heran reichen. Da nach den Vorschlägen der Grünen und der SPD prinzipiell jeder Arbeitgeber geförderte Langzeitarbeitslose beschäftigen kann, sollen die bisherigen Kriterien der Zusätzlichkeit, der Wettbewerbsneutralität und des öffentlichen Interesses entfallen. Sie sollen bei den bisherigen Arbeitsverhältnissen auf dem zweiten Arbeitsmarkt sicherstellen, dass nur Arbeiten ausgeführt werden, die ohne Förderung nicht bestehen würden und die nicht in Konkurrenz zu marktwirtschaftlich arbeitenden Unternehmen stehen. Wettbewerbsverzerrungen wären durch die Neuregelung dann ausgeschlossen, weil jeder Arbeitgeber Langzeitarbeitslose mit einer Förderung beschäftigen könnte.

Die SPD sieht zudem vor, dass die Arbeitsverhältnisse am Sozialen Arbeitsmarkt in erster Linie in Vollzeit besetzt werden. Die Wochenarbeitszeit kann aber flexibel verabredet werden.

Die Linke möchte im Gegensatz dazu an den Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses festhalten.

Welche Löhne werden gezahlt?

Die von SPD, Grünen und Linken geplanten Arbeitsplätze auf dem Sozialen Arbeitsmarkt sollen sozialversicherungspflichtig sein. Zudem fordern alle drei Parteien ein bedarfsdeckendes Gehalt. Sowohl für Grüne als auch für die SPD ist das Fernziel eine Entlohnung nach Mindestlohn, zumindest, wenn in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt werden sollte. Bis dahin sehen beiden Parteien vor, die Bezahlung auf dem Sozialen Arbeitsmarkt an tariflichen oder, falls nicht vorhanden, an den ortsüblichen Löhnen zu orientieren. Die Linke fordert pauschal einen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro.

Wie hoch ist der Anteil der staatlichen Förderung?

Die SPD sieht einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von 50 Prozent des Gehalts vor. In Ausnahmefällen seien auch maximal 75 Prozent denkbar. Für die Grünen soll die Förderhöhe grundsätzlich bei 75 Prozent der Lohnkosten liegen. Sie kann aber 100 Prozent erreichen, wenn bei einem Langzeitarbeitslosen mehr als drei Vermittlungshemmnisse identifiziert wurden.

Wie lange wird gefördert?

Im Gegensatz zu den bestehenden arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen soll der Soziale Arbeitsmarkt Langzeitarbeitslosen eine längerfristige Perspektive bieten. Die Grünen fordern daher Arbeitsverhältnisse mit einer maximalen Dauer von 24 Monaten. Die Verlängerung soll nach Ende der Förderdauer immer wieder möglich sein, wenn weiterhin Bedarf besteht. SPD und Linke hingegen sehen eine Maximalförderung von drei bis fünf Jahren vor. Für die SPD ist eine Verlängerung nur in begründeten Ausnahmefällen denkbar. Zudem soll die Förderung eingestellt werden, sobald die volle Arbeitsproduktivität erreicht ist. Mindestens alle sechs Monate soll dies bei einem Beratungs- und Vermittlungstermin überprüft werden. Auch die Grünen sehen regelmäßige, „anlassbezogene“ Prüfungen vor.

Wie wird der Soziale Arbeitsmarkt finanziert?

SPD und Grüne planen die Finanzierung des Sozialen Arbeitsmarktes über den so genannten Passiv-Aktiv-Transfer (PAT). Die Grünen sehen vor, Arbeitsentgelte und den Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsbeiträgen aus Bundesmitteln zu bezuschussen. Diese sollen durch Einsparungen bei den passiven Leistungen der Arbeitsmarktpolitik (Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft) zufinanziert werden. Die Grünen gehen davon aus, dass pro 50.000 Teilnehmer durch Anwendung des PAT Kosten in Höhe von 210 Millionen Euro entstehen. Denen stünden aber Einnahmen von 280 Millionen Euro bei den Sozialversicherungen und circa 40 Millionen Euro Steuereinnahmen gegenüber.

Für die SPD setzt sich die Grundfinanzierung des Sozialen Arbeitsmarktes zum einen aus den Mitteln des Eingliederungsbudgets und zum anderen aus den eingesparten passiven Leistungen zusammen. Um die Kostenabrechnung zu vereinfachen, sollen Durchschnittskosten ermittelt werden.

Welche Unterstützung erhalten die Geförderten?

Der Antrag der SPD erkennt, dass die Beschäftigung besonders arbeitsmarktferner Langzeitarbeitsloser in der Regel mit einer zusätzlichen Betreuung einhergehen muss. Die SPD sieht daher unterstützende (sozialpädagogische) Begleitung, Beratung und Qualifizierung oder auch Gesundheitsförderung vor. Die Maßnahmen sollen für ein Jahr bewilligt und um jeweils sechs Monate verlängert werden können. Die Finanzierung soll aus dem Eingliederungsbudget erfolgen. Auch die Grünen sprechen die Notwendigkeit „begleitender Maßnahmen“ an, konkretisieren diese aber nicht.

Wer entscheidet, welche Arbeitsverhältnisse gefördert werden?

Grüne und SPD legen großen Wert darauf, dass Arbeitsverhältnisse am Sozialen Arbeitsmarkt in einem „lokalen Konsens“ entwickelt werden. Das bedeutet, dass alle relevanten Arbeitsmarktakteure in der Region einbezogen werden. Hierdurch soll die Akzeptanz des Sozialen Arbeitsmarktes sichergestellt werden. Die örtlichen Beiräte in den Jobcentern sollen hier eine wichtige Rolle spielen.

Zum Weiterlesen:

Deutscher Bundestag, Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales

Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes

SPD, Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen – Teilhabe für alle durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt

Die Linke, Einstieg in gute öffentlich geförderte Beschäftigung beginnen